Fachhochschule Frankfurt/Main, Fachbereich Sozialpädagogik
Projekt: Kulturprojekte in einer Großstadt
Dozentinnen. Prof. Karin Buselmeier, Gabi Mankau
ReferentInnen: Nicole Gräser, Frank Doerr
Datum: Oktober 1991
Thema: Modellprojekt Kulturpädagogische Animation in Bremen
Aufbau, Teilnehmer, Finanzierung, Trägersubstanz
Diese auf zwei Jahre befristete AB-Maßnahme steht unter der Trägerschaft des Senators für Bildung, Wissenschaft und Kunst mit einem 27 Std./Woche sowie 13 Std./Woche eigenständigem Fortbildungsangebot der Bremer VHS (im Rahmen einer berufsbegleitenden und -vermittelnden Fortbildung). Die zwanzig Teilnehmer besitzen vorwiegend pädagogische Grundqualifikationen und Erfahrungen in kulturellen und sozialen Feldern: zwei Projektteamer im Bereich Sozialwissenschaften und Pädagogik, ein Projektleiter im Bereich Kommunikationswissenschaft, ein Projektberater und Organisator der zuständigen Behörde sowie vier Honorarteamer der Bereiche Theater, Kunst, Video und Musik.
Die Finanzierung erfolgt durch Förderungs- und Arbeitsbeschaffungsmittel des Arbeitsamtes, durch den Senator für Arbeit, das Amt für Wohnungs- und Städtebauförderung der örtlichen Baugesellschaften und den Senator für Bildung, Wissenschaft und Kunst. Die wissenschaftliche Auswertung wird gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft.
Begründungszusammenhänge und Überlegungen
Kulturpolitische Aspekte
Die Ressourcen für soziokulturelle Arbeit werden durch mehrere Senatsressorts (Kultur, Stadtentwicklung, Arbeit, Weiterbildung und Soziales) erschlossen und gebündelt. Dadurch gewinnt dieses Vorzeigeprojekt einen ganzheitlichen Aspekt.
Die Kulturpädagogen initiieren und unterstützen vor Ort Projekte als Hilfe zur Selbsthilfe in Zusammenarbeit mit Ortsämtern, Beiträten, Schulen, Einrichtungen der sozialen Dienste, Kirchen und Verbänden, Initiativen und Einzelpersonen. Sie koordinieren und vernetzen regional vorhandene Aktivitäten und bauen kulturelle Infrastrukturen und Räumlichkeiten auf.
Kulturell-bildungspolitischer Aspekt
Durch die berufsbegleitende Fortbildung ist folgendes gegeben:
- eine eigenverantwortliche Arbeit der Projekte
- praktisches Können
- Raum zum Experimentieren und für neue Ideen
- Reflexion und Wissensaneignung
- eine Ausbildung und Befähigung zur Anleitung in Kunst, Video, Theater und Musik, d.h. in der Praxis: nicht nur Beherrschung dieser kulturellen Medien, sondern auch die Vermittlung und Weitergabe wird erarbeitet.
Weitere Aspekte
Im Projekt- und Kulturmanagement werden grundlegende Bestandteile in Arbeit und Fortbildung vermittelt. Dazu gehören beispielsweise Aquise und Bewirtschaftung von Mitteln, Planung oder EDV.
Arbeitsmarktpolitische Aspekte
Anzuführen sind hier die Entwicklung von Zusatzqualifikationen, die vermittelte Berufserfahrung und der – in seiner Bedeutung nicht zu unterschätzende – Bedarfsnachweis für Kulturpädagogen.
Verhältnis von Theorie und Praxis im Modellprojekt Kulturpädagogik
Das Modellprojekt versucht – durch die begleitende, aber in sich selbständige Fort- und Weiterbildung – den bisher vorhandenen inhaltlichen Defiziten in der Weiterbildung von Kulturpädagogen entgegenzuwirken. Als solche gilt:
- die Seltenheit von Projektstudien als Ausbildungskern
- die nur in Ansätzen realisierte Sparten übergreifende Breitenqualifikation
- zu geringer Praxisbezug
- die fehlende Berücksichtigung der Wichtigkeit von Vermittlungskompetenz
Kulturelle Bildung ist nicht Schwerpunkt oder Wert an sich, sondern in diesem Fall auch Mittel zum Zweck: es geht um den sozialen und politischen Gebrauch musischer Bildung, um praktizierte Kunst als soziokulturelles Werkzeug, nicht als Selbstzweck. Der Kulturbegriff steht als Instrument zur individuellen Aneignung, Verarbeitung und Interpretation des Lebensumfeldes.
In der Kulturpädagogik verbergen sich zwei soziale Entwicklungsansätze:
- der Umgang, die Betrachtung und die Interpretation der Umwelt ermöglicht es, seine eigene Rolle, seinen persönlichen Standpunkt zu finden.
- Im spielerischen Miteinander, im Austausch von Ideen, im gemeinsamen Erarbeiten bestimmter Themen setzt man sich mit dem Anderen und seinen Denkweisen auseinander.
Während üblicherweise die durch Konsum vermittelten Lebensstile die Phantasie und Kreativität einbinden in gesellschaftliche Zweckmäßigkeit, kann die Animation durch Kulturpädagogik Schranken überwinden: das eigenständige, individuelle, sinnliche Vermögen soll entwickelt werden, die eigene Kunst kann autonom werden von den gesellschaftlich akzeptierten Werten und Maßstäben.
Ein Jahr kulturpädagogische Arbeit in Neubaugebieten
Als notwendig hat sich die Entwicklung neuer Herangehensweisen erwiesen. Die Projektteilnehmer sind erst einmal fremd, stehen außerhalb der Stadtteilstruktur und müssen sich mit den vorhandenen Gegebenheiten auseinander setzen. Stadtteil und Bewohner werden anfangs mit einer gewissen Distanz erlebt. Es gilt mit den individuellen Strukturen des einzelnen Stadtteils vertraut zu werden, um die Bedürfnisse der Bewohner nachvollziehen zu können.
Dadurch entstehen für die einzelnen Stadtteile natürlich unterschiedliche Projektprofile.
Im Idealfall gibt es eine ständige Interaktion zwischen den Projektteilnehmern und den Bewohnern, d.h. nicht nur die Stadtteilbewohner werden animiert und aufgeweckt, sondern auch der Kulturpädagoge lernt von den Bedürfnissen seines Klientels. So entsteht eine Vernetzung von vorgefundenen räumlichen, sozialen und kommunikativen Strukturen und Voraussetzungen der dort ansässigen Teams, ergänzt durch die praktische Arbeit vor Ort wie auch Reflexion, Konfrontation und Reibung mit den eigenen Möglichkeiten.
Als Beispiel: die Gruppe Tenever
Das Kulturbüro dient als Anlaufstelle. Dadurch soll keine Überforderung beim Erstkontakt entstehen, sondern eine eher „sanfte“ Schaffung von Kommunikation, Unterhaltung, Denkanstößen und Handlungsalternativen mit kulturpädagogischen Methoden. Als Anziehungspunkte dienen
- eine Videomonatsschau als Gemeinschaftsproduktion
- ein Kulturflohmarkt mit Aktionen
- die Integration von stadtteilrelevanten Themen
Der Umgang mit einem Medium wie beispielsweise Video und der Auseinandersetzung mit den eigenen Produktionen und ihrer Wirkungen verbessert die Möglichkeit, die bislang nur konsumierten Kultur zu hinterfragen.
Ein- und Aussichten
Kulturpädagogische Dienstleistungen müssen langfristig angelegt sein und dürfen keine überhohen Erwartungen wecken (durch unreflektierte Anspruchsniveaus). Die innovativen Möglichkeiten sind sonst ohne entsprechende konzeptionelle, qualifizierte und beratende Projektstruktur schnell vertan.
Notwendig erscheint:
- die Ausweitung vorhandener städtischer Kulturarbeit wie z.B. die Entwicklung mobiler Dienste in kommunalem Auftrag mit Hilfe der örtlichen Kulturbüros
- eine Dezentralisierung und Bündelung von Verwaltungs- und Beratungszuständigkeiten
- zukünftig noch stärkere Betonung auf die wichtigen Aspekte des Modellprojektes zu legen im Sinne von fachlicher Kompetenz, Kooperation und Kontinuität.